Felden-What? (Deutsch)

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Feldenkrais? Bitte was für ein Kreis???

von Lawrence Wm. Goldfarb

Lawrence Wm. Goldfarb, CFT, Ph.D. (Amherst ’83) ist Feldenkrais Trainer und
Bewegungswissenschaftler der dafür bekannt ist, Wissenschaft und Feldenkrais auf spannende
Art und Weise miteinander zu verbinden (Link zu seiner Doktorarbeit, die erst kürlich im
IFF Reasearch Journal erschienen ist: http://www.iffresearchjournal.org/goldfarb.htm).
Er unterichtet und leitet Feldenkrais Trainings in Europa, Australien und Nordamerika. Des
Weiteren gibt er öffentliche Workshops, Fortbildungen und Advanced Trainings in der ganzen Welt.
Larry schafft es, auch komplexe Sachverhalte verständlich zu machen, und er bietet seinen
Schülern einen praktischen Rahmen, die Feldenkrais Methode und ihre Relevanz für
verschiedenste Bereiche des menschlichen Lebens zu verstehen. In den letzten Jahren hat er
beständig Supervisionsgruppen aufgebaut und sogenannte „mentor training programs“ für
Feldenkrais Lehrer unterrichet. Seine private Praxis ist in Santa Cruz, Kalifornien.
Seine Webseite ist: www.mindinmotion-online.com .

Da war er wieder – dieser besondere, dieser berüchtigte Moment. Es geschah auf der
Party eines Freundes. Ich genoß die brasilianische Musik, als mich einer der anderen
Gäste in eine nettes Gespräch verwickelte. Wir redeten über die üblichen Dinge, das
Wetter und in welchem Verhältnis wir zum Gastgeber standen. Peter hatte gerade von
seiner Arbeit als Ingenieur erzählt, als es geschah:

“Und was machen Sie beruflich?”

“Ich bin Feldenkrais-Lehrer”

“Felden-was???”

“Feldenkrais. Das ist eine Methode, durch die man Bewegung neu erlernen kann. Sie ist
nach dem Mann benannt, der sie entwickelt hat, Moshe Feldenkrais.”

“Ach so, wie Kreis. Felden-Kreis?”

“Nicht ganz. Feldenkrais: F – E – L – D – E – N – K – R – A – I – S.”

“Feldenkrais?”

“Genau. Es ist eine Art, Bewegung zu lehren. Ich arbeite mit Menschen, die unter
physischen Einschränkungen zu leiden haben, also chronischen Schmerzen oder
neurologischen Problemen. Aber auch mit Schauspielern, Musikern oder Athleten, die ihre
künstlerischen oder sportlichen Leistungen verbessern möchten. Im Rahmen des
Sportprogramms an der Universität gebe ich Seminare.”

“Und was unterrichten Sie da?”

“Normalerweise kommen meine Schüler zu mir, weil sie irgendeine Einschränkung
erfahren haben. Etwas, das ihnen das alltägliche Leben erschwert oder sie an der
Verbesserung ihrer besonderen Fähigkeiten hindert. Meine Aufgabe ist es, zu erkennen,
wie sie sich bewegen, und wie dieses mit dem Problem zusammenhängt, das sie
beeinträchtigt. Dann gilt es herauszufinden, wie sie sich anders bewegen können, damit
das Problem nicht bestehen bleibt oder sich ausweitet.”

“Das klingt interessant. Ist das eine Art Gymnastik? Oder zeigen Sie den Menschen, wie
sie ihre Haltung verbessern können?”

“Nun, das läßt sich nicht so einfach beantworten. Denn was ich unterrichte und wie ich es
unterrichte, das hat eigentlich nichts mit Gymnastik oder Haltung zu tun. Hinter diesen
beiden Begriffen stehen ähnliche Annahmen. Zum einen: `Wenn Du schwach bist, mußt
Du Deine Muskeln trainieren und stärken`. Zum anderen: `Wenn Du glaubst, Deine
schlechte Haltung ist der Grund für Dein Problem, dann mußt Du diese verbessern und
Dich gerade hinstellen`. Der Körper wird also als etwas betrachtet, das bearbeitet und
umgeformt, in eine “bessere Verfassung” gebracht werden muß. Niemand gibt einem die
Chance zu erkennen, daß das, was man tut, zu den eigenen Beschwerden beiträgt.
Niemand schaut danach, wie man sich bewegt und wie dies mit den Problemen in
Zusammenhang stehen könnte.”

“Dann behaupten Sie also, die Menschen sollten keine Gymnastik machen?”

“Nein, das behaupte ich nicht. Ich sage nur, daß Gymnastik alleine nicht ausreicht. Die
Idee, die hinter Gymnastik steht, ist die, daß man nicht stark genug ist und daß die
Muskeln trainiert werden müssen. Ein Gymnastikprogramm wird mit dem Ziel
zusammengestellt, die Arbeit der Muskeln zu verbessern. Ich glaube, daß dies in den
meisten Fällen nicht die richtige Sichtweise ist. Denn die Probleme, mit denen ich mich
beschäftige – also neurologische Probleme, chronische Schmerzen,
Bewegungseinschränkungen – haben nichts damit zu tun, wie stark ein Mensch ist,
sondern wie er sich insgesamt bewegt. Ich glaube, man könnte es so sagen: Ich bin daran
interessiert, daß sich die Menschen intelligenter bewegen, und nicht mit mehr Kraft.”
“Sie sagen also, daß Bewegung solche Probleme verursachen kann?”

“Ja genau. Die Art und Weise, wie man sich bewegt, kann Probleme verursachen. Noch
interessanter ist die Tatsache, daß man sich einer Bewegung, die Probleme verursacht,
oft überhaupt nicht bewußt ist.”

“Was heißt das denn: `sich einer Bewegung, die Probleme verursacht, nicht bewußt
sein`?”

“Die meisten von uns bewegen sich nicht bewußt. Wir achten darauf, wohin wir gehen und
was wir tun, aber nicht darauf, wie wir uns bewegen. Denken Sie zum Beispiel mal daran,
wie Sie aus dem Sitzen aufstehen. Wie machen Sie das? Was passiert da? Was bewegt
sich wann?”

Peter steht ein paar mal auf und setzt sich wieder hin.

“Ich verstehe, was Sie meinen. Das ist ja komplexer als ich dachte. Normalerweise denke
ich daran aufzustehen, und das nächste, was ich weiß, ist daß ich stehe. Ich glaube, ich
habe bisher noch nicht besonders viel darüber nachgedacht.”

“Sehen Sie, das ist genau das, was ich meine. Die meisten von uns denken über ihren
Körper nicht nach, bevor er sich durch Schmerzen oder irgendwelche Probleme
bemerkbar macht. Bis zu dem Moment, in dem wir merken, daß etwas nicht stimmt,
bewegen wir uns möglicherweise lange Zeit auf eine ineffiziente oder sogar gefährliche
Weise, ohne es zu merken.”

“Aber warum ist das so? Warum merken wir das nicht?”

“Weil unsere Bewegungen zur Gewohnheit werden, wir machen sie automatisch. Wir
wiederholen sie immer und immer wieder, ohne darüber nachzudenken. Wenn etwas zum
wiederholten Mal geschieht, dann fällt es aus unserem Bewußtsein heraus. Das ist nicht
unbedingt schlecht, es ist ein Teil des Lernprozesses.”

“Heißt das, wir lernen, uns auf ineffiziente Weise zu bewegen?”

“Ja!”

“Und warum?”

” Nun, wir können uns nur so gut bewegen, wie wir es gelernt haben, und das geschieht
meistens ganz unstrukturiert. Viele Dinge haben einen Einfluß darauf, wie wir uns
bewegen: die Entwicklung in der Kindheit, Reaktionen auf frühere Verletzungen,
Anforderungen, die sich aus bestimmten Aktivitäten ergeben, wie durch Sport, das Spielen
von Musikinstrumenten oder bestimmte Bewegungen beim Arbeiten. Wir wissen nicht
wirklich, wie unser Körper sich bewegt. Dadurch ergibt es sich, daß wir uns auf Arten und
Weisen bewegen, die uns und unserem Körperbau nicht entsprechen.”

“Können Sie mir ein Beispiel nennen?”

“Natürlich. Viele Menschen glauben, ihr Körper drehe sich um die Taille, und so bewegen
sie sich auch. Unglücklicherweise ist der untere Rücken für solche Bewegungen nicht
ausgelegt. Die Hüftgelenke sind so konstruiert, daß sie dem Rumpf diese Bewegung
ermöglichen – die Rückenmuskeln sind es nicht.”

“Ich glaube ich verstehe. Wenn man sich bewegt, als wäre der Rücken dazu geschaffen,
sich auf Höhe der Taille zu drehen, dann führt dies zu Rückenschmerzen.”

“Richtig, genau so ist es. Aber ich habe Ihre Geduld schon genug strapaziert. Es tut mir
leid, aber ich kann mich einfach nicht mehr bremsen, wenn ich über meine Arbeit
spreche.”

“Aber nein, ich finde das sehr interessant. Das ist mir viel lieber als das übliche Party-
Geplauder. Meine Mutter leidet seit Jahren unter chronischen Rückenschmerzen,
deswegen bin ich neugierig auf Ihre Arbeit geworden. Ich wollte Sie gerade fragen, wie Sie
ihr helfen würden.”

“Das kann ich so einfach nicht sagen, weil ich sehen müßte, wie sie sich bewegt.”

“Können Sie mir mal erklären, was Sie tun, wenn Sie mit jemandem zu arbeiten
beginnen?”

“Ja, ich kann Ihnen beschreiben, was ich tun würde, wenn Ihre Mutter zu mir käme. Ich
würde sie auffordern, sich nach rechts und links zu drehen, sich nach vorne, hinten und
nach beiden Seiten zu beugen. Dabei würde ich ihre Bewegungen beobachten. Ich würde
sie mit den Händen berühren, um herauszufinden, welche Muskeln beteiligt sind und
welche nicht. Ich würde nach Verhaltensmustern suchen, die andere Bewegungen
beeinträchtigen.”

“Einen Moment bitte. Was meinen Sie mit `Mustern, die andere Bewegungen
beeinträchtigen`?”

“Oft scheinen Menschen unbewußt gefangen zu sein in einer bestimmten Art sich zu
bewegen oder zu halten. Wenn Sie sich zum Beispiel das Bein verletzen, dann verändern
Sie Ihre Art zu laufen und fangen an zu humpeln. Das Humpeln beginnt unmittelbar nach
der Verletzung, kann aber viel länger als diese anhalten. Wenn es länger anhält, als es
eigentlich notwendig ist, dann kann das Verspannungen, Schmerzen und andere
Probleme zur Folge haben. Aber das ist nur ein Beispiel. Sie können mit Ihrer Schulter
humpeln, Ihrem Nacken oder Rücken. Und man muß sich nicht einmal verletzen, um
solche Eigenheiten in der Bewegung zu entwickeln. So etwas passiert durch das Spielen
eines Musikinstruments, bei bestimmten Sportarten, durch die ständige Wiederholung
einer Bewegung bei der Arbeit. Entscheidend ist, daß man ein Bewegungsmuster
entwickelt, das sich festsetzt. Ein Muster, das jeder Bewegung zugrundeliegt und alle
Aktivitäten beeinträchtigt, die ihm zuwiderlaufen.”

“Verstehe. Erzählen Sie weiter.”

“Ich habe zum Beispiel kürzlich mit einer Busfahrerin gearbeitet, die über wiederholt
auftretende Rückenschmerzen klagte. Als ich ihre Bewegungen beobachtete, wurde mir
klar, daß die Muskeln im unteren Rücken permanent angespannt und dadurch steif waren.
Selbst wenn sie versuchte, sich zu strecken, konnte sie in diesem Bereich nicht loslassen.
Es war, als hätte sie die Kontrolle über diese Muskeln verloren. Sie dachte, ihr Rücken
müsse so steif sein, denn als sie einige Jahre früher das erste Mal ernsthafte
Beschwerden hatte, da hatte sie sich gezwungen, den Rücken fortan gerade zu halten.
Wenn sie also ihren Rumpf bewegte, überanstrengte sie die Muskeln im oberen Rücken,
so daß diese begannen, permanent zu schmerzen. Obwohl ihr Arzt keinen Befund
feststellen konnte, war sich die Frau sicher, daß mit ihrer Wirbelsäule etwas nicht in
Ordnung war. Ich konnte ihr zu der Erkenntnis verhelfen, daß ihre Art sich zu bewegen zu
den Problemen geführt hatte.”

“Konnte sie denn mit dieser Erkenntnis etwas anfangen und ihr Verhalten ändern?”
“Nicht sofort. Schließlich hatte sie über all die Jahre den Kontakt dazu verloren, was diese
Muskeln dort unten machten. Es war, als hätte sie den Autopiloten eingeschaltet und
vergessen, wie man die Handsteuerung wieder aktiviert.”

“Was können Sie denn da noch machen? Ich stelle es mir unglaublich frustrierend vor,
den Grund für ein Problem zu kennen und nicht in der Lage zu sein, etwas daran zu
ändern.”

“Genau hier kommt jetzt die Methode ins Spiel. Es gibt zwei verschiedene Arten, sie
anzuwenden, nämlich in Einzel- und in Gruppenstunden. Beide Arten basieren auf
derselben Idee. Der Mensch lernt, Bewußtheit darüber zu erlangen, wie er sich bewegt,
wie er sich bewegen könnte, wie er sich mehr Möglichkeiten eröffnen kann um so sein
Wohlbefinden zu steigern. In einer Gruppenstunde gebe ich mündliche Anweisungen zu
einer Sequenz sanfter Bewegungen. In der Einzelstunde benutze ich meine Hände, um
den Schüler zu bewegen.”

“Kann das weh tun?”

“Nein, überhaupt nicht. Feldenkrais ist sanft. Dahinter steht die Idee, daß sich
Veränderungen leicht vornehmen lassen, wenn die neuen Bewegungen angenehmer sind
als die alten. Unser Motto könnte “no pain, MORE gain” heißen.”

“Klingt erstaunlich. Glauben sie wirklich, daß sich Menschen ändern können, ohne daß
dies mit Schmerzen verbunden ist?”

“Absolut! Das ist ein Grund, warum ich meine Arbeit liebe.”

“Meine Mutter hat Probleme mit den Bandscheiben. Könnte sie durch Feldenkrais geheilt
werden?”

“Feldenkrais ist nicht dazu da, um Menschen zu heilen oder zu “reparieren”. Es ist keine
medizinische Behandlung. Es ist eine Lehr- und Lernmethode. Es geht darum, Menschen
dabei zu helfen, die Kontrolle über ihr Leben zurückzugewinnen. Dies wird möglich, indem
sie begreifen, wie sie sich fühlen und warum dies so ist. Wenn sie lernen, sich anders zu
bewegen, dann wird ihnen klar, daß sich auch an der Art wie sie sich fühlen etwas ändern
kann. Auf diese Weise kann ich auch Menschen helfen, die ein organisches Leiden haben.
Wenn ich zum Beispiel mit Arthritis-Patienten arbeite, dann ist es nicht meine Aufgabe,
diese Krankheit aus der Welt zu schaffen. Ich kann ihnen dabei helfen, sich ohne eine
übermäßige Belastung der betroffenen Gelenke zu bewegen, damit auch sie angenehme
und sichere Wege finden, weiterhin all das zu tun, was sie möchten. Dasselbe gilt für
Bandscheiben-Probleme. Selbst wenn es an einer solchen Stelle ein strukturelles Problem
gibt, so bleibt doch die wichtigste Frage: Wie kann sich der Mensch besser bewegen,
damit sich sein Wohlbefinden steigert und Probleme in Zukunft verhindert werden?”

“Oh – die Kerzen werden angezündet. Können wir uns nachher weiterunterhalten…?”